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Evolution - Riesen auf dem ­Vormarsch?

Beyond Science

Europäer werden von Generation zu Generation immer größer. Warum das so ist und ob es auch in Zukunft immer weiter nach oben geht – darüber sprachen wir mit dem Schweizer Evolutionsforscher Frank Rühli.

Interview mit Frank Rühli

Sie erforschen das Größenwachstum der Menschen. Wie groß werden wir noch werden?
Frank Rühli: Aus rund 150 Jahren Wehr­pflicht haben wir eine sehr gute Datenbasis für die Schweiz. Uns liegen sogar Mikroda­ten von teilweise bis zu 90 Prozent aller ­18- bis 21-jährigen Männer bestimmter Jahrgänge vor. Dazu gehören auch Angaben zu Körpergröße, -form und -gewicht. Diese Daten können wir sogar runterbrechen auf einzelne Bezirke. Auch Städte wie Zürich und Basel können wir miteinander vergleichen. Es zeigt sich, dass die Schweizer bis ungefähr 2010 im Durchschnitt immer größer wurden, und zwar um einiges: etwa 15 Zentimeter. Wir sind jetzt im Durchschnitt bei knapp 1,80 Metern angekommen.

Korrespondiert eigentlich die Körpergröße immer mit der Schuhgröße? Große Menschen, große Füße?
Ja, diese Korrelation gibt es grundsätzlich. Wenn Sie größer sind, sind auch Ihre Langknochen, die sich in den Extremitäten finden, länger. Auch der Mittelfuß und die Zehenglieder sind länger. Die Körpergröße korreliert also zu einem gewissen Grad mit der Schuhgröße, wobei ein großer Mensch nicht immer zwangsläufig entsprechend große Füße haben muss oder ein kleinerer Mensch immer kleine.

Zurück zu den Schweizern: Sind 1,80 Meter groß verglichen mit anderen Ländern?
Das ist auch im internationalen Vergleich schon sehr groß. Die Rekordhalter sowohl bei Männern wie bei Frauen sind aber die Niederländer mit 1,83 Metern bei den Männern und 1,71 Metern bei den Frauen. Auch wenn es Unterschiede gibt, so kann man die Daten aus der Schweiz schon zum Teil übertragen auf andere nordische Länder wie Deutschland, die Beneluxländer oder auch auf Norditalien. Denn die Körpergröße ist unter anderem abhängig von Faktoren wie Sozialstatus, Einkommen, Gesundheitsversorgung und der Ernährung, und da sind sich die nordischen Länder sehr ähnlich. Dauerhafte Mangel­ernährung wirkt sich über Generationen negativ aus, der menschliche Körper erhält nicht genügend Nährstoffe, um ins Längenwachstum zu investieren. Aus diesen Gründen kann man die Schweiz auch nicht mit Ländern in den armen Regionen der Welt vergleichen.

Ihre Daten beziehen sich ausschließlich auf Männer. Was ist mit den Frauen?
Unsere Forschung basiert auf Daten des Schweizer Militärdienstes, und da ist der Frauenanteil bekanntermaßen überschaubar. Natürlich leisten heute immer mehr Frauen freiwillig Militärdienst, aber es sind dennoch nur wenige. Und die, die sich melden, bringen in der Regel entsprechende körperliche Voraussetzungen mit, sind also nicht repräsentativ. Diese Datenlage ist somit dünn und bildet auch nicht die Vergangenheit ab. Was wir an früheren Daten haben, sind Passanträge aus dem 19. Jahrhundert, wo teilweise Angaben zur Körpergröße vermerkt sind. Aber auch hier bilden die Daten keinen guten Querschnitt der Bevölkerung ab, denn einen Pass besaßen nur Menschen aus der Oberschicht, die sich das Reisen leisten, sich besser ernähren und so womöglich körperlich besser entwickeln konnten. Ähnlich verhält es sich mit Längenknochendaten aus Friedhöfen: Wer wurde beerdigt? Daten, die nicht erhoben wurden in der Vergangenheit, kann man leider nicht nachträglich generieren. Und so können wir in der Schweiz nur solide Aussagen über den männlichen Teil der Bevölkerung treffen. Wir nehmen aber an, dass sich die Körpergröße der Frauen im Verhältnis ähnlich entwickelt hat.

Sie erwähnen Faktoren wie Sozialstatus oder die Gesundheitsversorgung, die Einfluss auf das Wachstum von Menschen haben. Was beeinflusst noch, wie groß wir werden?
Grundsätzlich bekommen große Eltern auch große Kinder. Es gibt, das weiß man inzwischen, genetische Marker – sogenannte Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs) – für Körpergröße und Wachstum. Und je stärker diese vertreten sind in einer Population, desto größer werden die Menschen dort im Durchschnitt. Neben den schon genannten Faktoren hat aber auch anhaltender physischer wie psychischer Stress Einfluss darauf, wie groß Menschen in bestimmten Regionen der Welt werden. In Ländern, wo durch politische Unterdrückung kein normaler Alltag und kein selbstbestimmtes, freies Leben möglich sind, sind die Menschen eher kleiner. Mehrere Studien des australischen Anthropologen Maciej Henneberg aus den 1990er-Jahren belegen, dass die Menschen in Südafrika seit dem Ende der Apartheid größer werden.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Körpergröße und Gesundheit?
Die Körpergröße hat wohl aufgrund genetischer Faktoren Einfluss auf die Häufigkeiten von bestimmten Krankheitsbildern. Darauf weist eine neue Studie eines Teams rund um den Mediziner Sridharan Raghavan von der University of Colorado hin, die im Fachblatt „PLOS Genetics“ publiziert wurde. Demnach treten gewisse Krankheiten entsprechend der Körpergröße unterschiedlich häufig auf. Die Rede ist etwa von einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmern und Krampfadern bei großen Menschen. Sie haben aber auch laut der Studie ein geringeres Risiko für koronare Herzkrankheiten, Bluthochdruck und hohes Cholesterin. Bei kleinen Menschen ist das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, erhöht.

Wie geht es denn nun weiter: Werden wir immer größer und größer?
Interessanterweise hat sich die Längenzunahme der Menschen – zumindest in den Schweizer Daten in den letzten zehn Jahren – ein bisschen abgeschwächt. Wir sehen also aktuell kein deutliches Größenwachstum mehr, sondern eher ein Breitenwachstum. Die Menschen nehmen also immer mehr an Gewicht zu, und das weltweit: Es gibt inzwischen mehr übergewichtige als unterernährte Menschen, auch in Ländern wie China, Saudi-Arabien oder Ägypten. Ein Viertel der 19-jährigen Schweizer ist übergewichtig, das war früher genau andersherum. Übergewicht ist ein großes Problem. Was vielleicht noch Einfluss nimmt auf die aktuelle Stagnation der Körpergröße: Die Schweiz ist ein Migrationsland, und es wird bei der Erhebung der Daten aus dem Militärdienst nicht differenziert, wo die Menschen von vor mehreren Generationen herkommen. Zu guter Letzt kann es auch sein, dass wir eine Art genetische Grenze erreicht haben, wir also weiterhin größer werden, aber nur noch in sehr kleinen Schritten. Der Mensch ist genetisch wohl nicht dafür prädestiniert, drei Meter groß zu werden.

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Kurzporträt

Frank Rühli ist Evolutionsmediziner und Dekan des Instituts für Evolutionäre Medizin an der Universität Zürich. Rühli machte sich einen Namen als Mumienforscher: 2005 untersuchte er unter großem ­Medieninteresse die Mumien Ötzi und Tutanch­amun. Auch das Größenwachstum der Menschen fasziniert ihn: In ­einer Studie untersuchte er das Wachstum der Schweizer Wehrdienstleister.

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